Cholesterin – Ein notwendiger, aber missverstandener Baustein
Cholesterin wird oft als Ursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen betrachtet. Tatsächlich ist Cholesterin ein wesentlicher Bestandteil des Körpers, notwendig für Zellmembranen und die Hormonproduktion. Das eigentliche Problem entsteht durch die Art und Weise, wie Cholesterin transportiert wird – vor allem durch LDL-Partikel (Low-Density-Lipoproteine). Diese LDL-Partikel spielen eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Atherosklerose, einer der Hauptursachen für Herzinfarkte und Schlaganfälle.
Das wahre Problem: LDL-Partikel und Atherosklerose
LDL-Partikel transportieren Cholesterin durch den Blutkreislauf. Wenn jedoch zu viele LDL-Partikel vorhanden sind, können sie sich in den Arterienwänden ablagern. Diese Ablagerungen verursachen Entzündungen und führen zur Bildung atherosklerotischer Plaques, die die Arterien verengen und den Blutfluss behindern. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt proportional zur Anzahl der LDL-Partikel im Blut. Studien zeigen einen klaren Zusammenhang: Je mehr LDL-Partikel, desto höher das Risiko, dass diese Partikel zu Ablagerungen führen.
LDL-Messung: Was uns die Zahl nicht sagt
Die herkömmliche Messung des LDL-Cholesterins, wie sie oft in der medizinischen Praxis verwendet wird, misst nicht die Anzahl der LDL-Partikel, sondern die Menge an Cholesterin, die diese Partikel transportieren. Das ist, als würden Sie den Verkehr in einer Stadt nur anhand der Anzahl der Menschen auf den Straßen bewerten, ohne zu berücksichtigen, wie diese sich fortbewegen. Es ist entscheidend, ob viele Menschen in Bussen (große LDL-Partikel) oder in einzelnen Autos (kleine LDL-Partikel) unterwegs sind. Je mehr „Autos“ (Partikel) es gibt, desto größer ist das Risiko eines „Staus“ (Atherosklerose), auch wenn die Anzahl der „Menschen“ (Cholesterin) gleich bleibt.
ApoB (die gängige Abkürzung von "Apolipoprotein B") ist ein Protein, das in jedem LDL-Partikel nur einmal vorkommt. Die Messung von ApoB ermöglicht es, die genaue Anzahl dieser Partikel zu bestimmen – und somit das tatsächliche Risiko für Herzerkrankungen. Dies macht ApoB zu einem viel genaueren und zuverlässigeren Marker als das herkömmliche LDL-Cholesterin.
Warum LDL besonders bei metabolischen Erkrankungen irreführend ist
Die Bedeutung von ApoB wird besonders bei Menschen mit metabolischen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Insulinresistenz deutlich. Bei diesen Personen ist die herkömmliche LDL-Messung oft nicht aussagekräftig. Menschen mit diesen Erkrankungen haben oft viele kleine, dichte LDL-Partikel, die besonders schädlich sind, aber durch die übliche LDL-Cholesterinmessung nicht erfasst werden. Trotz normaler LDL-Cholesterinwerte können solche Personen ein erheblich höheres kardiovaskuläres Risiko haben. ApoB liefert in diesen Fällen eine viel genauere Risikoeinschätzung.
Warum die Zeit entscheidend ist: der AUC Effekt
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Zeit, in der diese Partikel im Blut zirkulieren. In allen üblichen Risikoberechnungen ist das Alter der entscheidende Faktor – bedeutet das, dass nur ältere Menschen Ablagerungen entwickeln oder dass Cholesterinwerte erst im höheren Alter wichtig werden? Absolut nicht! Stellen Sie sich Ihr kardiovaskuläres Risiko wie ein großes Fass vor, das über die Jahre mit Wasser gefüllt wird. Hohe ApoB-Werte füllen dieses Fass schneller, während niedrigere Werte das Fass langsamer füllen. Auch wenn das Fass mit 40 oder 50 Jahren noch lange nicht „voll“ ist, wird der Füllstand umso höher sein, je länger und intensiver es befüllt wurde.
Das gängige Vorgehen, Risikoscores wie den AGLA oder Score2 anzuwenden, fokussiert häufig auf ältere Menschen. Dabei wird das Risiko in den ersten Lebensjahrzehnten oft vernachlässigt. Traditionell misst man bei 50- oder 60-jährigen Menschen den LDL-Wert und berechnet ein 10-Jahres-Risiko. In diesen Risikoberechnungen ist das Alter der größte Risikofaktor, aber letztlich ist es die kumulative Belastung durch LDL-Partikel über die Zeit – also die „Area-under-the-Curve“ (AUC) –, die das Risiko bestimmt. Alter ist lediglich ein Indikator für die Dauer der Partikelexposition. Das Risiko entsteht nicht durch das Alter selbst, sondern durch die langfristige Exposition gegenüber hohen LDL-Werten.
Andererseits: Wenn bei jüngeren Menschen im Alter von 30 oder 40 Jahren erhöhte LDL-Werte gemessen werden, beschreiben traditionelle Risikoscores oft nur ein geringes Risiko, da sie kurzfristige Risiken fokussieren. Dies ignoriert jedoch den AUC-Effekt, der zeigt, dass eine frühe Exposition gegenüber hohen ApoB-Werten das langfristige Risiko dramatisch erhöht. Deshalb ist es entscheidend, die Partikelanzahl über das gesamte Leben hinweg niedrig zu halten, um langfristig das Risiko zu minimieren.
Was Sie tun können: Messen, verstehen, handeln
Wenn Sie Ihr kardiovaskuläres Risiko genau verstehen möchten, reicht es nicht aus, nur Ihren LDL-Cholesterinwert zu kennen. Es ist wichtig, die Anzahl der atherogenen Partikel zu messen, was nur durch die ApoB-Messung möglich ist. Diese gibt Ihnen ein präziseres Bild Ihres tatsächlichen Risikos. Wenn Sie frühzeitig beginnen, Ihre ApoB-Werte zu überprüfen und Maßnahmen zu ergreifen, können Sie Ihr Risiko langfristig erheblich senken.
Fazit: Ihr Herz verdient Prävention
Wenn Ihnen eine gesunde und lange Lebenszeit wichtig ist, sollte die Senkung Ihres kardiovaskulären Risikos Priorität haben. Kardiovaskuläre Erkrankungen sind weltweit die häufigste Todesursache. Die regelmäßige Messung Ihrer ApoB-Werte – und deren gezielte Senkung – sollte ein zentraler Bestandteil Ihrer Gesundheits- und Longevity-Strategie sein. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, Maßnahmen zu ergreifen, um langfristig Ihre Herzgesundheit zu schützen.
Referenzen:
Ference B.A. et al., 2017. “Low-density lipoproteins cause atherosclerotic cardiovascular disease.” Eur Heart J.
Pencina MJ et al., 2015. “Apolipoprotein B improves risk assessment of future coronary heart disease.” European Journal of Preventive Cardiology.
Solnica B. et al., 2023. “Concordance/discordance between serum apolipoprotein B, LDL cholesterol.” Int J Cardiol.
Domanski MJ et al., 2020. “Time Course of LDL Cholesterol Exposure and Cardiovascular Disease Event Risk.” J Am Coll Cardiol.
Zhang Y. et al., 2021. “Association Between Cumulative LDL Cholesterol Exposure and Risk of Cardiovascular Events.” JAMA Cardiol.